• 30.11.2001

    83.15.7-2001-4

    Übertreiben einer Schachtförderanlage

    A 2.10




     

     

    An die Bergämter des Landes Nordrhein-Westfalen

    Übertreiben einer Schachtförderanlage

    In einem Tagesschacht einer Schachtanlage des Bezirkes kam es beim Förderbetrieb mit einer
    doppeltrümigen Gefäßförderanlage zu einem Übertreiben der Fördermittel. Personen kamen
    nicht zu Schaden. Der Schacht ist mit zwei Gefäßförderanlagen ausgestattet. Die betroffene
    Förderanlage verfügt über zwei Gefäße zu je 16.000 Nutzlast und eine Gleichstromförder-
    maschine. Der Fahrweg beträgt 928 m, die maximale Fahrgeschwindigkeit beträgt 18 m/s.
    Die Bremseinrichtung ist eine elektropneumatische Bremsensteuerung für eine
    AEG-Zweizylinder-Druckluft-Schnellschlußbremse ZP.

    Bei dem Ereignis wurde das beladene Gefäß aufwärts gefördert. Es fuhr ordnungsgemäß in
    die Entladeposition ein.

    Mit dem Stillsetzen der Anlage über den Antriebsmotor in der Bündigstellung der Entladung
    hätte die Fahrbremse durch die automatische Steuerung aufgelegt werden müssen. Aufgrund
    eines undichten Plastikschlauches zwischen einem Vorsteuerventil und dem Pneumatikventil,
    das im Automatikbetrieb die Fahrbremse öffnet und schließt, konnte die Fahrbremse in dieser
    Position nicht aufgelegt werden. Die Fördermaschine wurde durch den Schließbefehl trotzdem
    stromlos geschaltet.

    Die Wirkung der Überlast des beladenen Gefäßes beschleunigte daraufhin die stromlos
    gewordene Anlage.

    Nach einem Fahrweg des beladenen Gefäßes abwärts von etwa 160 m wurde die zulässige
    Höchstgeschwindigkeit überschritten. Bei 20,5 m/s wurde über den Fahrtregler die Sicher-
    heitsbremse ausgelöst. Die Maschine wurde daraufhin mit einer zunächst ausreichenden
    Verzögerung auf etwa 15 m/s abgebremst. Dann verharrte die Geschwindigkeit und stieg
    allmählich wieder an. Etwa 48 s nach dem Auslösen der Sicherheitsbremse hatten die
    Fördermittel den gesamten Fahrweg durchfahren. Die beiden Gefäße wurden mit ca. 21 m/s
    in die Übertreibeinrichtungen, die verdickten Spurlatten und die Prellträger, an den Fahr-
    wegenden getrieben. Dabei riss das Förderseil über dem aufwärtsgehenden südliche Gefäß
    ab und fiel in den Schacht mit erheblichen Folgeschäden.

    Durch Prüfungen und Versuche der DMT-Fachstelle für Sicherheit - Seilprüfstelle konnte
    bestätigt werden, dass der Bremskraftaufbau der Sicherheitsbremse durch den Defekt an der
    Fahrbremssteuerung nicht beeinträchtigt war. Die Maschine hätte zu diesem Zeitpunkt über
    die Sicherheitsbremse ordnungsgemäß stillgesetzt werden müssen. Der Lastfall einer
    Bremsung mit vollem, einhängend bewegten Gefäß kommt in einer Gefäßförderanlage, die
    überwiegend aufwärts fördert, unter normalen Betriebsbedingungen nicht vor. Die Anlagen-
    teile werden aber für diesen Lastfall ausgelegt.

    Die in der Bremsensteuerung vorhandene Überwachungsschaltung zum Erkennen von Störungen
    an der Ventilsteuerung löste aus. Sie konnte aber nicht mehr, wie vorgesehen, das elektrische
    Stillsetzen der Maschine über den Antriebsmotor einleiten, weil der Motor schon stromlos war.
    Aus demselben Grund war die vorhandene Einhängelastüberwachungseinrichtung, mit der das
    unzulässige Abwärtsfahren beladener Gefäße verhindert werden soll, nicht mehr wirksam.

    Trotz der fehlerfreien Funktion der Bremseinrichtung kam es zu dem schweren Übertreiben,
    weil die Reibwirkung der Bremsbeläge während der Bremsung mit zunehmender Zeitdauer immer
    mehr abnahm. Dadurch wurde die Verzögerungswirkung, die zu Beginn der Bremsung noch nur
    geringfügig unter den erwarteten Werten lag, immer schlechter, bis die Anlage schließlich die
    Geschwindigkeit nur unter der Schwerkraftwirkung des Gefäßes wieder erhöhte. Dadurch fuhren
    die beiden Gefäße mit einer Geschwindigkeit von etwas über 20 m/s in die Fahrwegenden ein.
    Die betroffene Bremsbelagsorte ist an vielen Anlagen verbreitet im Einsatz. Eine vergleichbare
    Reibwertminderung wurde an anderen Anlagen bisher noch nicht festgestellt. Die Fördermaschine
    wird in einem ausziehenden Schacht betrieben, dadurch fällt eine unvermeidbare starke Ver-
    schmutzung an. Durch die Betriebsweise als reine Stoppbremse, bedingt durch den über-
    wiegenden Automatikbetrieb, wird die Bremse selten thermisch beansprucht. Dadurch entfällt
    die regelmäßige Erneuerung der aktiven Bremsbelagflächen durch Verschleiß. Das Zusammen-
    wirken von Verschmutzung und Alterung der Bremsbelagoberfläche wird nach derzeitigem
    Stand der Untersuchungen als Ursache für das Übertreiben gesehen. Auslösender Fehler war
    der undichte Plastikschlauch.

    Die durch den Sachverständigen der Seilprüfstelle gemessene Bremswirkung entspricht für leere
    Fördermittel und aufwärtsgehende Nutzlast ausreichend genau den Werten der Bremsbe-
    rechnung. Das Abschleifen der Beläge hat sich nach dem Ereignis als ausreichende Maßnahme
    zur Wiederherstellung der Reibungszahlen erwiesen. Ein Belagwechsel ist dann nicht erforderlich.
    Das angestrebte Ziel der Maßnahme ist - insbesondere für Fördermaschinen mit Backen-
    bremsen und höheren Fahrgeschwindigkeiten über ca. 10 m/s - eine regelmäßige Regeneration
    der Belagoberfläche durch Verschleiß und thermische Belastung. Bei automatisch betriebenen
    oder geregelten Maschinen, bei denen die Fahrbremse nur im Stoppbetrieb betätigt wird, bleibt
    diese Erneuerung der Belagoberfläche durch Verschleiß aus.

    Auf Fördermaschinen mit Scheibenbremsen ist wegen der besseren thermischen Belastbarkeit,
    der gleichmäßigeren Flächenpressung zwischen Bremsbelag und Bremsfläche und wegen der
    segmentierten Bremsflächen, die eine gute Abfuhr der Abriebprodukte bewirken, die Gefahr
    einer wesentlichen Reibungszahlminderung deutlich geringer. Die Empfehlung einer regelmäßigen
    betrieblichen Kontrolle der Bremswirkung gilt aber auch für diese Maschinen.

    Als Konsequenz aus dem Schadensvorkommnis ergeben sich für die Bremseinrichtungen anderer
    Schachtförderanlagen folgende Forderungen, die einer Wiederholung des Schadens vorbeugen
    sollen:

    • An allen vorhandenen automatisch betriebenen Anlagen müssen die Überwachungs-
      funktionen der Fahrbremssteuerung durch einen hierfür anerkannten Sachverständigen
      daraufhin geprüft und beurteilt werden, ob bei einem Fehler die Sicherheitsbremse
      ausgelöst wird, bevor eine nennenswerte Fahrgeschwindigkeit erreicht wird. Notwendige
      schaltungstechnische Änderungen zur Ertüchtigung bzw. Erhöhung der Betriebssicherheit
      der Förderanlage sind sofort unter Einbeziehung einer hierfür anerkannten Sachver-
      ständigen umzusetzen.

    • An pneumatischen Bremseinrichtungen ist der ordnungsgemäße Zustand der Verschl-
      auchung und der Verrohrung durch eine fachkundige Aufsichtsperson oder einen hierfür
      anerkannten Sachverständigen kurzfristig zu prüfen. Insbesondere Kunststoffschläuche,
      die Alterungserscheinungen zeigen, müssen unverzüglich ausgetauscht werden, alle
      Kunststoffschläuche spätestens jedoch nach längstens 3 Jahren Einsatzdauer. Bei
      notwendigem Ersatz der Verschlauchung ist künftig die Verrohrung mit geeigneten
      Material (Kupfer, rostfreier Stahl) vorzuziehen.

    • Die Steuerungseinrichtungen sollten durch Abkleidung bestmöglich vor Verschmutzungen
      geschützt, wenn nicht eingehaust werden.

    • An Schachtförderanlagen mit Trommelbremseinrichtungen sind die Bremsflächen
      arbeitstäglich auf Verschmutzungen zu überprüfen. Bei Verschmutzungen sind diese in
      geeigneter Weise abzuschleifen.

    Der Unternehmer hat Art und Umfang der v.g. Überwachungsmaßnahmen sowie das Verfahren
    zur Meldung festgestellter Schäden oder Mängel durch Betriebsanweisungen festzulegen. Diese
    schriftlichen Anweisungen sind den beauftragten Personen gegen Unterschriftsleistung auszu-
    händigen.

    Die Bergwerke bitte ich entsprechend zu unterrichten und zu veranlassen, dass die Hinweise
    und Anweisungen der in Betracht kommenden Personen sowie den einschlägig beauftragten
    Aufsichtspersonen zur Kenntnis gebracht werden.

    Dortmund, den 30.11.2001

    Bezirksregierung Arnsberg
    Abteilung Bergbau und Energie
    in Nordrhein-Westfalen
    Im Auftrag

    E k h a r t  M a a t z